Dienstag, 12. Dezember 2006

Edward Said – The Voice of the Palestinian People

Am 3. Juli 2000 gelang einem Agence France-Presse-Reporter diese Momentaufnahme des heldenhaften palästinensischen Widerstandes: mit Steinen gegen schwerbewaffnete Soldaten. Business as usual, wird sich der geneigte Antiimperialist denken, doch gibt es in diesem Fall eine gewisse Besonderheit, so handelt es sich bei der auf dem Foto abgebildeten Person um den amerikanischen Professor für englische und vergleichende Literatur Edward Said, der sich hier die Zeit mit Wurfübungen auf Israelis vertreibt. Sein darauf folgendes halbherziges Dementi war nicht mal ein richtiges: Es sei die "eher karnevaleske Atmosphäre" nach dem Abzug der Israelis gewesen; in "einer Art ödipalem Wettbewerb" wollte er seinem Sohn beweisen, dass er viel weiter werfen könne; und außerdem dachte er doch nicht, dass ihn jemand dabei fotografieren würde. Schlechtes Gewissen? Wohl eher nicht. Klingt eher nach dem Frust eines Kindes das von Muttern beim Süßigkeitenklauen in flagranti ertappt wurde: "Aber ich wusste doch nicht, dass du mich erwischen wirst!"

Edward Said (1935-2003) hatte durch die Veröffentlichung des Buches Orientalism (1978) plötzliche Bekanntheit erlangt, sowohl in den Elfenbeintürmen der Gelehrten als auch außerhalb der akademischen Welt. Er wurde das, was wohl gemeinhin ein „Intellektueller“ genannt wird. "He became an inspiring guide to both history and culture" trauert ihm dann nach seinem Tode auch erwartungsgemäß die britische Zeitung Guardian hinterher. In seinem Erfolgsbuch erkannte er zwar eine reelle Problematik – die Konstruktion eines „Orient“ als für die Existenz eines „Okzident“ essentielles „Anderes“ – baut dabei jedoch vorbei an den Wissenschaftlichen Realitäten einen Popanz auf. Auf diesen drischt er dann beispielsweise so ein: Orientalismus sei “nothing more than a structure of lies and myths”. Der von Said kritisierte Islamwissenschaftler Bernard Lewis kommt in seinem Artikel „The Question of Orientalism“ im New York Review of Books zu folgender Einschätzung: "The tragedy of Mr. Said's `Orientalism´ is that it takes a genuine problem of real importance and reduces it to the level of political polemic and personal abuse".

Von der New Yorker Journalistin Amy Goodman wurde Said posthum zur "Voice of the Palestinian People" ernannt. Nun haben diese zwar schon eine Stimme, nämlich Mumia Abu-Jamal, "Voice of the Voiceless", der schon längst festgestellt hat, dass die Palästinenser "ein schönes, tapferes, angriffslustiges und zugleich umzingeltes Volk" sind, welches von fiesen rassistischen Juden unterdrückt wird, die dadurch zu Nazis geworden sind, aber doppelt hält bekanntlich besser, und von dieser Art intellektueller Rückendeckung konnten die palästinensischen "Freiheitskämpfer" schließlich noch nie genug bekommen. Ausserdem hat Said, der die Situation im Nahen Osten als "one of the great moral causes of our time” bezeichnet noch ein ganz anderes Ass im Ärmel: er ist einer von ihnen, ein Palästinenser, genetisch nämlich, ausserdem habe er seine Kindheit in Palästina verbracht. So behauptet er es zumindest. Saids Antwort auf die Frage, was ihn denn nun eigentlich als Nahostexperten und "Stimme der Palästinenser" prädestiniere sieht dann so aus: “I was born in Jerusalem and had spent most of my formative years there and, after 1948, when my entire family became refugees, in Egypt. Weiter geht es mit der Schilderung seiner traurigen Jugend auf britischen privaten Eliteschulen und seinem Studienanfang in den USA.

Nein, zu diesem Zeitpunkt war Edward Said sicher kein Palästinenser - Erziehung durch Briten, des Arabischen kaum mächtig - es sei denn durch die Bande des Blutes. Während seiner schulischen und akademischen Laufbahn habe er seine arabische Identität gar unterdrücken müssen um sich später einzugestehen: "I found myself becoming an entirely Western person". Und das ist natürlich, so haben wir schon in Orientalism gelernt, ganz und gar unartig, dekadent und künstlich, kurz: das Gegenteil des natürlich gewachsenen palästinensischen Volkes, zu dem er ja eigentlich durch Geburt auch gehöre, hätte man ihn nicht seiner Heimat beraubt. Deshalb habe er auch das Recht für die Palästinenser zu sprechen. Der Ethnologe James Clifford kommentierte diese Einstellung in einer Rezension: "What does it mean, at the end of the twentieth century, to speak […] of a “native land”? What does it mean to write as a Palestinian? as an American? as a Papua New Guinean? as a European?”

Nun gab es auch schon recht früh die ersten Zweifel an Saids dramatischer Lebens- und Leidensgeschichte. Könnte es sein, dass Said nie in "Palästina" gelebt hatte? Justus Reid Weiner jedenfalls zeigte umgehend Ungereimtheiten auf und entlarvte die angebliche Biographie als geringfügig politischeres "Märchen aus 1001 Nacht". Weiner in "´My Beautiful Old House´ and Other Fabrications by Edward Said": On his birth certificate, prepared by the ministry of health of the British Mandate, his parents specified their permanent address as Cairo, and, indicating that they maintained no residence in Palestine, left blank the space for a local address. Similarly blank is the entry for a local address in the church record of Edward Said's baptism, an event that likewise took place in Jerusalem two years later. Of the 29 telephone and commercial directories for Jerusalem and Palestine from 1931 through 1948 that I was able to locate, more than half carry business and/or residential listings for Boulos Said and his wife. There are no listings for Edward Said's parents in any of the directories, whether in English, Hebrew, or Arabic. Saids Reaktion erfolgte prompt: in seiner Kolumne in der ägyptischen Zeitung Al-Ahram titelte er "Defamation, Zionist-style".

Doch kein "echter" Palästinenser? Macht auch nichts, denn durch sein Engagement hatte er sich gewiss den Titel "Palästinenser ehrenhalber" verdient. Sein Einsatz für die gute Sache begann mit dem Jahre 1967, als nicht nur ein großer Teil der deutschen Linken ihre deutsche, sondern der junge Edward Said auch seine palästinensische Identität wiederentdeckt hatte, die ihn ab 1977 schließlich sogar als Abgeordneten in den Palestinian National Council führte. Dies hatte er sicherlich auch seinen sehr eindeutigen Positionen zur Akteurskonstellation in der Region seines Herzens zu verdanken, zum Beispiel folgender: "The situation of the Palestinian is that of a victim. They're the dispossessed, and what they do by way of violence and terrorism is understandable", so gibt er 1989 in einem Interview zu Protokoll. Gerhard Scheit bemerkt hierzu: Weltverschwörung läßt sich immer am besten aus der Opferperspektive imaginieren: Die Nation ist das große Opfer; Said aber – und darin kommt seine christliche Herkunft zum Tragen – muß dieses nationale Kollektiv weniger am eigenen mit der Nation identisch gemachten Leib (wie die moslemischen Palästinenser in den besetzten Gebieten), als an der eigenen empfindsamen Seele reproduzieren. Seine schöne Seele ist das eigentliche Opfer, in dem sich der Opferstatus der Palästinenser spiegeln kann.

Doch damit nicht genug fährt Said fort: "But what the Israelis do, in killing Palestinians on a much larger scale, is a continuation of the horrific and unjust dispossession of the Palestinian people". Fast zehn Jahre später scheint sich Saids Intellekt so weit geschärft zu haben, dass er jetzt die tatsächlichen Dimensionen des Konflikts erkennt. Er bringt dies nun mit dem Satz “To Palestinians, however, their role is that of victims of the victims” auf den Punkt. Diese Formel sollte man einmal genauer betrachten um erkennen zu können was sie eigentlich alles impliziert. Said meint: die Palästinenser sind die Opfer der Opfer des Nationalsozialismus, so viel ist aus dem Kontext des Artikels klar herauszulesen. Nun sind mit dieser Formulierung natürlich zwei große Probleme verbunden. Erstens sind die Palästinenser - wenn überhaupt - Opfer des israelischen Militärs, nicht der Juden als homogener Masse. Said macht also eine eigentlich israelische Handlung zu einer jüdischen. Zweitens sind diese Juden, wenn wir die Palästinenser als Opfer annehmen logischerweise die kollektiven Täter. Da sind sie wieder, die Juden als Tätervolk. Was damals den Juden angetan wurde, das tun diese heute den Palästinensern an. Der Holocaust scheint die Messlatte zu sein. So schreibt Said in seinem Buch "Frieden in Nahost?": "Ironischerweise gibt es für unser Anliegen einen unmittelbaren Präzedenzfall, nämlich in den israelischen Forderungen gegenüber Deutschland". Said behauptet also tatsächlich, dass sich die Geschichte des Nationalsozialismus im Nahen Osten wiederhole, mit Juden als Tätern. Dies dokumentiert auch sein Hinweis auf die vermeintliche Ironie der Konstellation in Nahost: “Israel is now waging a war against civilians [...]. This is a racist war, and in its strategy and tactics, a colonial one as well. People are being killed and made to suffer disproportionately because they are not Jews. What an irony!“ Wo allerdings die jüdischen KZs, die jüdische SS und die jüdische Herrenmenschenideologie zu finden sind, darauf bleibt er uns natürlich eine Antwort schuldig.

Die Argumentation erinnert an die Ted Honderichs. Honderich bemühte sich in "Nach den Terror. Ein Traktat" um eine moralische Rechtfertigung palästinensischer Attentate. Dies liest sich dann beispielsweise so: "Ich für meinen Teil habe keinen ernsthaften Zweifel, um den prominenten Fall zu nehmen, dass die Palästinenser mit ihrem Terrorismus gegen die Israelis ein moralisches Recht ausgeübt haben". 2003 sollte das Buch in Deutschland vom Suhrkamp-Verlag herausgegeben werden, durch einen offenen Brief Micha Brumliks wurde letztlich aber ein kleiner Skandal aus der Veröffentlichung, die den Verlag schließlich zu der Entscheidung bewog, das Buch nicht weiter im Programm zu behalten. Edward Said blieb von solch öffentlicher Aufregung um seine Person zu Lebzeiten erstaunlich unbehelligt obwohl auch er palästinensischen Terror legitim und verhältnismäßig empfand: "Yes, there was a terrorist outrage, but there's more to the world than terror. There is politics, and struggle, and history, and injustice, and resistance and yes, state terror as well”. Ungerechtigkeit, Widerstand, Geschichte. Der Stoff aus dem Helden sind. Und als solche vergöttert Said die palästinensischen "Widerstandskämpfer" auch: "Remarkably, though, the great mass of this heroic people seems willing to go on, without peace and without respite, bleeding, going hungry, dying day by day. They have too much dignity and confidence in the justice of their cause to submit shamefully to Israel, as their leaders have done. What could be more discouraging for the average Gazan who goes on resisting Israeli occupation than to see his or her leaders kneel as supplicants before the Americans?". Bereits 1994 entstanden ganz ähnliche Zeilen als Reaktion auf die Verhandlungen von Oslo. Edward Said wandte sich damals endgültig von Arafat ab, da dieser die "Intifada einseitig abgebrochen" habe, obwohl diese so viel Gutes hervorgebracht hätte.

Die Intifada, der Terror gegen Israel scheint die einzig realistische Möglichkeit zu sein, der israelischen Übermacht Einhalt zu gebieten, so viel wird nach der Lektüre Saids klar. Dass sich die Macht der Juden nicht nur auf Israel beschränkt scheint dabei selbstverständlich. In "Zionismus und palästinensische Selbstbestimmung" schreibt er über den jüdischen Staat, dieser sei "weniger ein Staat der in ihm lebenden Bürger […], sondern vielmehr das Refugium eines Volkes, das sich überwiegend in der Diaspora befand". Daher könne „die zionistische Organsiation, und später der Staat, nachdem er lebenswichtige Territorien in seinen Besitz gebracht hatte, auf bedeutende außerstaatliche Herrschaftsmittel zurückgreifen". Said reproduziert das altbekannte Bild vom parasitärem Judentum, das mittels Steuerung der internationalen Finanzmärkte ein Machtgeflecht installiert hat, welches sich über den gesamten Globus erstreckt. Ein Klassiker des Antisemitismus. Von einem Literaturprofessor hätte man deutlich mehr Kreativität erwarten können. Dennoch bleibt er sich treu, wenn er erwartungsgemäß den Fokus jüdischer Kontrolle in den USA ausgeübt sieht und eine "Israelisierung der US-Politik" zu erkennen glaubt: "Die äußerst einflußreiche jüdische Gemeinschaft in Amerika drängt dem israelischen Willen immer noch Geld und eine reduzierte Sichtweise auf". Deutlicher geht es kaum...

In anbetracht all dessen verwundert es auch wenig, dass er die Vorkommnisse an der israelisch-libanesischen Grenze 2003 - Said wurde beim Steineschmeissen erwischt - als große jüdische Verschwörung gegen seine Person betrachtet. Die "israelische Propaganda unterstützt von willfährigen westlichen Medien“ habe den Vorfall mit dem Steinewerfen „monströs aufzubauschen und mich als gewalttätigen Fanatiker hinzustellen" versucht, so jammert er in einem Interview. Said ist in seinem Antisemitismus wenigstens konsequent: nicht nur Politik und Wirtschaft sind jüdisch-israelisch gesteuert, sondern auch die Medien. War der Photograph vielleicht sogar Jude? Aber was ist an einer Charakterisierung Saids als "gewalttätigen Fanatiker" eigentlich falsch ausser, dass er bis auf diese Ausnahme den Teil mit der Gewalt, die Drecksarbeit sozusagen, von seinen palästinensischen Verbündeten ausüben lässt, während er sich mit Schreibtischtäterstatus zufrieden gibt?

Alle Bücher die Edward Said über den Nahen Osten geschrieben hatte wurden innerhalb kürzester Zeit ins Deutsche übersetzt und auflagenstark verlegt. Dass er in Deutschland besonders gerne gelesen wird ist dabei natürlich kein Zufall, liefert er doch Munition zuhauf für eine spezifisch deutsche Spezialität auf dem Gebiete des Antisemitismus: Sekundärer Antisemitismus. Jener Judenhass also, der nicht trotz sondern gerade wegen Auschwitz existiert und von Henryk Broder in "Der ewige Antisemit" treffend mit den Worten umschrieben wird: "Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen". Diese unangenehme Sache die man damals mit den Juden angestellt hatte scheint dabei die arme, durch Bombenholocausts und ähnlichem Gräuel geschundene Deutsche Seele derart zu belasten, dass es entweder nicht mehr verkraftet wird diese ewigen Vorwürfe zu hören ("Hört das denn niemals auf? Immerhin sind schon 60 Jahre vergangen!"), oder aber der Adornosche kategorische Imperativ alles Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz sich nicht wiederhole ernst genommen und Stellung bezogen wird gegen den neuen Holocaust, auch wenn, oder sogar gerade weil es sich dieses mal um den von Juden an Palästinensern verübten handelt. Palästina lag den Deutschen schließlich immer schon sehr am Herzen, und so kommt es zu der skurrilen Konstellation, dass "die Täter aufpassen, dass ihre Opfer nicht rückfällig werden", wie Wolfgang Pohrt es auf den Punkt bringt. Die Shoah wird dabei ihrer historischen Singularität aufs unappetitlichste beraubt und wird zu einer Tat unter vielen qualitativ gleichwertigen. Und die Gleichung Holocaust=Nakba=X hilft in Deutschland freilich ungemein dabei, sich von der Last seiner eigenen Geschichte zu befreien und so beruft man sich nur allzu gerne auf Zeilen wie diese in der Zeitung Le Monde Diplomatique erschienenen: "by recognizing the holocaust for the genocidal madness that it was, we can then demand from Israelis and Jews the right to link the holocaust to Zionist injustices towards the Palestinian". So etwas kommt in Deutschland gut an, immerhin wollen nach der sogenannten Heitmeyer-Studie mehr als die Hälfte der Deutschen glauben "was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben". Fast 70% denken, Israel führe einen "Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser", 85% denken "Es ist ungerecht, dass Israel den Palästinensern Land wegnimmt". Isreal ist eben doch der Jude unter den Staaten, wie Léon Poliakov meint.

Der Verfasser der Studie, Wilhelm Heitmeyer, merkt zum Zusammenhang von Israelkritik und Antisemitismus an: Demnach gilt solche Kritik an Israel als antisemitisch, die Israel das Existenzrecht und das Recht auf Selbstverteidigung aberkennt, historische Vergleiche der israelischen Palästinenserpolitik mit der Judenverfolgung im Dritten Reich zieht, Israels Politik mit einem doppelten Standard beurteilt, antisemitische Stereotype auf den Staat Israel überträgt, oder diese Kritik auf Juden generell überträgt, und Juden pauschal für die Geschehnisse in Nah-Ost verantwortlich macht.

Gratulation Edward! Volle Punktzahl!